Der Lector sorgt für Unterhaltung bei der Arbeit
Das Handwerk der Zigarrenherstellung ist seit jeher von Traditionen geprägt, ganz besonders natürlich auf Kuba, dem Zigarrenland schlechthin. Einige davon sind in Europa weitgehend unbekannt und erscheinen auf den ersten Blick eher ungewöhnlich, auf Kuba jedoch sind sie bis heute fester Bestandteil des Produktionsprozesses in den Galeras. Dazu gehört zweifellos auch die Position des Lectors (zu Deutsch: Vorleser).
Tradition und Bedeutung des Lectors
Wenn man eine Galera de Torcido, den wichtigsten Arbeitsraum einer Zigarrenmanufaktur, betritt, fühlt man sich unweigerlich an eine Schule erinnert. Wie auf Schulbänken sitzen die zahlreichen Torcedoras und Torcedores auf ihren Arbeitsplätzen und rollen handgefertigte Zigarren. Natürlich handelt es sich aber keineswegs um Schüler, im Gegenteil: Die Kunst des Zigarrenrollens erfordert eine gründliche Ausbildung, und nur durch jahrelange Erfahrung erwerben die Arbeiterinnen und Arbeiter die Fertigkeiten, die es braucht, um wirklich perfekte Zigarren zu rollen.
Um stets wach und aufmerksam zu bleiben und den Arbeitsalltag abwechslungsreich zu gestalten, werden sie dabei traditionell von einem Lector unterstützt, der tatsächlich wortgetreu als Vorleser fungiert. Dabei variiert die Auswahl der Literatur beträchtlich, auch Wünsche der Torcedores werden berücksichtigt. Als die Position des Lectors im 19. Jahrhundert eingeführt wurde, waren bis zu ihrer Blütezeit zu Beginn des 20. Jahrhunderts sowohl klassische Dramen wie Romeo und Julia als auch die großen Abenteuerromane wie Der Graf von Monte Cristo ausgesprochen beliebt. Es ist sicher kein Zufall, das einige der bekanntesten kubanischen Zigarrenmarken Namen aus der klassischen Literatur tragen.
Der Platz des Lectors war dabei eine Rednerplattform, die "Tribuna". Voraussetzungen für seine Tätigkeit waren natürlich zunächst eine klare, feste und entsprechend laute Stimme, eine gewisse Bildung, aber auch eine gute Portion Schauspieltalent. Schließlich mussten alle Rollen eines Romans oder Theaterstücks von ein und derselben Person vorgetragen werden.
Der Lector trug aber nicht nur klassische Literatur vor. Auch aus aktuellen Zeitungen und politischen Schriften las man vor - während der Hochzeit der kubanischen Unabhängigkeitsbewegung wurden diese teilweise sogar von den Lectores selbst verfasst. Das Vorlesen diente also nicht nur der Unterhaltung, sondern durchaus auch der Bildung der Arbeiter. Diese waren oft nicht des Lesens und Schreibens mächtig, was die Position und die Bedeutung des Lectors noch unterstreicht.
Im 20. Jahrhundert fand, wie in vielen anderen Unternehmen auch, das Radio zunehmend Einzug in die Galeras, so dass ein Lector heute natürlich nicht mehr die Bedeutung früherer Tage hat. In den Zigarrenmanufakturen Kubas hält man aber bis heute am Lector fest.
Begründet durch den legendären Jaime Partagás Ravelo
Begründer der Tradition des Vorlesens in den kubanischen Galeras de Torcido ist kein Geringerer als der legendäre Don Jaime Partagás Ravelo. Der gebürtige Katalane kam 1831 nach Kuba und gründete 1845 die "Real Fabricas de Tabaco Partagás", die "Königliche Tabakfabrik Partagás". Die Fabrik besteht nach wie vor und ist die einzige, die allen politischen Turbulenzen zum Trotz bis heute ohne Unterbrechung produziert. Dabei war Don Jaime Partagás Ravelo als Unternehmer keinesfalls unumstritten. Bei allem Erfolg – die Marke wurde zum Beispiel mit der Goldmedaille der Pariser Weltausstellung 1867 ausgezeichnet – gab es eine ganze Reihe von Konflikten mit Konkurrenten, besonders mit der Marke Cabañas
.
Die Marke aber überstand alle Konflikte und Unruhen und ist nach wie vor gemeinsam mit den Cohiba Zigarren und Montecristo eine der bekanntesten Zigarrenmarken Kubas. Die drei Marken gelten als "Heilige Dreifaltigkeit" der kubanischen Zigarrenkunst - und einen Lector, der den Torcedoras und Torcedores vorliest, gibt es in der Galera von Partagás immer noch.
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